In Kürze erscheint die IL-Broschüre mit Texten gegen das Kriegsregime, gegen Aufrüstung und für eine starke Antikriegsbewegung. Die gedruckte Fassung wird bei der örtlichen IL erhältlich sein und auch hier veröffentlicht. Wir bitten noch um etwas Geduld. Als Anregung hier Vorwort, Einleitung und weitere Inhalte:
Vorwort
Stell dir vor es ist Krieg und viele wollen hin. Wir nicht. Plötzlich sei Krieg der neue Frieden, und Frieden der neue Krieg. Plötzlich ist vieles anders, als es gestern noch der Fall gewesen ist. Heute scheinen die Dinge verkehrt. Sie sind schief. Und deswegen sind sie falsch.
Wir streiten und kämpfen gegen den Krieg. Wir streiten und kämpfen für das Leben. Denn wer Krieg will, will das Leben Anderer zunichte machen. Wir wollen ein Leben in Würde und das Glück Aller ermöglichen. Die Handreichung, die Du gerade vor Dir hast, ist ein kleiner Teil dieses Kampfes.
Der Moment, in dem sich die Dinge verkehrten und ins Rutschen gerieten, liegt im Februar 2022, als die Zeitenwende und die Ertüchtigung der Bundeswehr im Bundestag verkündet wurden. Nun, heute, Jahre danach, sehen wir eine Bundesregierung und eine Medienlandschaft, sehen wir alte und neue Liberale, Intellektuelle und nicht wenige Linke, manche jung, andere schlecht gealtert, die in der Militarisierung der europäischen Gesellschaften einen alternativlosen Akt der Freiheit und Solidarität, vielleicht sogar der Menschlichkeit sehen wollen.
Doch aufgepasst! Die Anrufung der Freiheit ist auch in diesem Moment allein jene, die nur dann erlaubt ist, wenn sie sich nicht gegen das System der Entrechtung und Ausbeutung, des Rassismus und Neo-Kolonialismus wendet. Das lang verpönte Wort der Solidarität wird nun vollendst entleert, für die Herrschenden ist Solidarität nicht mehr als die Kameradschaft unter – und seien sie divers – Waffenbrüdern. Ihre Menschlichkeit ist nur so weit gütig und gültig, bis sich Andere, Gäste, neue Menschen an unseren Tischen niederzulassen versuchen.
Was also ist geschehen? Uns ist die Kriegstüchtigkeit geschehen, aufgezwungen von denen, die einen Krieg beginnen und von jenen, die ihn mit viel Hingabe weiterhin befeuern. Diesen Krieg und seine Kriegstüchtigkeit gilt es zu verstehen, zusammen mit ihren Folgen für die Gesellschaft, für uns als Subjekte, für unsere Kämpfe für ein besseres Morgen für alle Menschen weltweit. Dafür benötigen wir allesamt ein Denken und ein Handeln, eine Theorie und eine Praxis, die zusammengenommen eine Bewegung des Widerstands bilden – und die über die Formen des Protests hinausgehen. Ein Element darin bildet die vorliegende Handreichung, die unsere antimilitaristische Debatte der letzten Jahre mit Genoss:innen und Freund:innen abbildet. Wir sind zwar nicht immer einer Meinung, am Ende fallen aber unsere Positionen darin überein, dass diesem Kriegsregime etwas entgegengesetzt werden muss. Dass es dafür eine geteilte Hoffnung eines neuen Aufbruchs geben muss. Dass all dies gemeinsam geschehen muss – auch mit Dir!
Die Handreichung umfasst drei Passagen, die von einem vorangestellten Text eingeleitet werden, der den Krieg, das Kriegsregime und unser Handeln dagegen umreißt. Die erste Passage beschäftigt sich mit der Militarisierung der Gesellschaft, der Logik der Feindschaft und dem gegenwärtigen Herrschaftsprojekt. Anschließend zeigen wir in der zweiten Passage die Verbindungslinien zu anderen Kämpfen auf und machen damit deutlich: Der Widerspruch zum Kriegsregime geht uns alle etwas an und ist eine umfassende Forderung nach einer solidarischen, feministischen und klimagerechten Gesellschaft. Schließlich diskutieren wir in der dritten Passage den antiautoritären und transnationalen Charakter der Bewegung: was sie braucht, was sie hemmt und was sie schon ist.
Die vorliegenden Texte stammen von unterschiedlichen Gruppen und sind das Ergebnis einer längeren Debatte, die wir mit dieser Handreichung festhalten und verbreitern wollen. Sie wurden nicht eigens für dieses Heft geschrieben, sondern standen ursprünglich für sich. Wir wünschen Dir eine gute Lektüre. Wir freuen uns auf die Debatte mit Dir und mit Euch. Wir sehen uns auf der Straße, in den Schulen, Unis und Betrieben, in der Nachbar:innenschaft und auf den Festen. Wir sehen uns im Leben und im Kampf.
In diesem Sinne:
Alerta antimilitarista!
Einleitung: Erwischt. Der Krieg, das Kriegsregime und das Entkommen.
Interventionistische Linke, August 2025
Er hat alle erwischt! Als Staat, als Gesellschaft, als Medien. Als Einzelne, als Netzwerke und Gruppen, als Nachbar:innen und Freund:innen. Als die, die hier geboren wurden und die, die im Laufe ihres Lebens hierher fanden. Kriegstüchtig sollen wir werden, staatspolitische Verantwortung übernehmen, uns für den Verteidigungsfall wappnen. Unsere liberalen Werte würden angegriffen, unsere westliche Lebensweise sei existentiell bedroht. Der Feind, er sei nahe.
Einige, die hierher kamen und nun von hier sind, hatte er schon einmal erwischt in ihrem Leben. Sie kamen an, da sie entkommen konnten und vieles und Viele, wenn nicht sogar alles und Alle, haben zurücklassen müssen. Nun nähert sich ihnen erneut das - auch rassistische - Geheul der Koalition der Kriegswilligen, wenngleich jene es bevorzugen, ihre Kriege an anderen Orten zu führen.
Er hat auch uns erwischt. Als gesellschaftliche und Szene-Linke, als linke Subjekte, organisiert oder unorganisiert, in unseren Kiezen und Kollektivräumen, in den Schulen, in den Unis und auf der Arbeit. Weil wir bisher zu wenig gegen diese Kriegstüchtigkeit unternehmen. Weil wir zuschauen. Weil wir uns nicht verabreden und darüber streiten, wie dieser gesellschaftlichen Aufrüstung für den Krieg entgegentreten.
Manchmal lassen wir uns vereinnahmen, stellen uns auf die Seite des Staates - auch dann noch, wenn dieser uns weiterhin bekämpft. Schlafwandelnd sagen wir uns vor - unwissend, dass solch’ Sätze lediglich dazu dienen, eine trügerische innere Selbstvergewisserung herbeizuphantasieren - dass der Krieg uns schon nicht erwischen wird. Doch er hat uns alle erwischt. Der Krieg, er hat uns, neben vielem anderen, auch im Kopf erwischt.
Weil wir als gesellschaftliche und Szene-Linke plötzlich unserem eigenen Misstrauen gegenüber Staat und Kapital misstrauen.
Weil wir nicht sehen wollen, dass der Krieg, und sei er in ferner Nähe oder naher Ferne, auch hier längst seinen langen Schatten geworfen hat, nicht als Krieg auf dem Schlachtfeld, aber als Krieg in den Gedanken und Entscheidungen. Der Staat hat unter uns Zweifel gesät, wir sind in einer Position der unorganisierten strategischen, theoretischen und praktischen Schwäche. Chapeau! Ausgehend von dieser Schwäche denken wir viel zu oft das Recht auf Selbstverteidigung, das viele Formen kennt, darunter auch die bewaffnete, nur noch auf Seite der Regierenden, des Staates und ihrer Armeen. Der Aufbau einer gesellschaftlich relevanten Gegenmacht als strategisches Ziel blieb da schon längst auf der Strecke. Unsere Solidarität hat sich dabei, wie in vorherigen Situationen schon einmal, nicht selten ins Absurde überführt. Und wir sehen die Kluft nicht zwischen den Forderungen, die der Krieg in unseren Köpfen stellt, und der nackten Realität, in der diejenigen überleben müssen, die diese Forderungen erfüllen. Wer Solidarität predigt, und damit nur meint, die anderen sollen kämpfen, ist mit sich selbst solidarisch. Mehr aber auch nicht. Wahr ist jedoch auch, dass wir trotz der vielen Kriege um uns herum, es nicht geschafft haben, unsere Position der Schwäche zu überwinden und dieser Notwendigkeit der gesellschaftlichen Gegenmacht in diesen Gefielden Form und Kraft zu geben.
Der Krieg, er hat uns auch im Kopf erwischt. Rein-mental denken und fühlen wir in den Kategorien derer, die den Krieg wollen und ihn nähren. Rein-mental meinen wir, als Einzelne, als Gesellschaft und nicht selten als Linke nun zu wissen, wer Feind sei und wer Freund sei. Wie sehr doch diese einfache gegenwärtige Gegenüberstellung jener der Vergangenheit ähnelt. Rein-mental: gebar dieser Boden jemals einen anständigen, also menschlichen, Soldaten?; halfen Waffen aus dieser heimischen Produktion jemals den Frieden vorzubereiten?; existierte überhaupt jemals eine fremde Macht und Bevölkerung, die uns hier alle vernichten wollte? Rein-mental: Finden sich Freund:innen allein in der Volks- und Passzugehörigkeit, oder warten nicht auch in der Fremde sie auf uns, auf dass wir in gastfreundlicher Absicht aufeinander treffen? Der Krieg, er hat uns auch im Kopf erwischt. Wir vergessen, auf welcher Seite wir stehen. Wir müssen unsere Wahl erneut treffen. Wir müssen unsere Wahl bewusst treffen. Wir dürfen nicht mehr vergessen, wer jene sind, die entrechtet, ausgebeutet, erniedrigt und verachtet werden. Wir dürfen nicht vergessen, wer den Krieg unter welchen Absichten führt und in ihren Augen die Opfer für ihn aufbringen sollen. Sind wir noch ausreichend klar im Kopf, nebst der uns umgegebenden Kriegstüchtigkeit, diese Konfliktlinien auszumachen, zu betrachten, zu analysieren, zu begreifen, Gegenstrategien zu entwerfen und uns zu organisieren? Wo stehen wir überhaupt? Stehen wir überhaupt noch aufrecht? Oder machen wir eine huldvolle Verbeugung vor denen, die den Krieg nähren, da wir insgeheim vielleicht doch irgendwie davon überzeugt sind, dass die Welt im Unrecht ist, und wir im Recht. Welch‘ noch nicht ausgemerzte Überheblichkeit uns da befällt! Sind wir überhaupt noch klar im Kopf? Wie sind wir überhaupt? Aufrecht oder käuflich? Der Krieg macht uns käuflich. Der Staat nutzt unsere Käuflichkeit kaltblütig aus. Und wer sind wir dann?
Wenn es eine:n erwischt hat, ist ein Entkommen gar nicht mehr so einfach. Doch nicht einfach bedeutet nicht unmöglich. Wir wollen daher einen Einspruch wagen, einen Einspruch der widerspricht. Wir widersprechen jenen, die ihre Kriegstüchtigkeit in ihre Bauchschmerzen zu verhüllen suchen, die vorgeben den Frieden zu wollen und dafür den Krieg benötigen, die uns eine nationale Einheit vorgaukeln und von Dienst, verpflichtender Freiwilligkeit und Held:innentum schwafeln, wofür wir selbst genügsam sein sollen mit unseren Bedürfnissen und Wünschen nach einem erfüllten Leben für alle, weltweit. Wir widersprechen denen, die ein neues There Is No Alternative behaupten. Wir widersprechen, weil sie lügen. Wir erheben also Einspruch. Wer sagte doch gleich, alles sei verloren, und glaubte unverschämterweise damit Recht zu haben? Das, was ist, muss nicht sein, flüstern wir leise, schreien es laut, halten wir dem entgegen. Und wer hält mit uns dagegen? Du? Du!
Wogegen wir dagegen halten: Merkmale des Krieges
Der Krieg ist ein gesellschaftliches militärisches Verhältnis und jeder Krieg hat stets seine ganz eigene Geschichte. Es braucht mindestens zwei Parteien, die ihn nähren. Zweifellos trägt der, der das Verhältnis auf eine neue Stufe bringt, die Verantwortung für diesen Schritt. Zweifellos trägt der, der sich im Folgenden ebenfalls auf diese neue Stufe begibt, ebenso eine Verantwortung. Doch die entscheidende Frage an dieser Stelle ist nicht, ob es eine Hauptverantwortung gibt und wer diese trägt. Uns beschäftigt ein weiteres Merkmal des Krieges:
Der Krieg ist eine tödliche Spirale, die sich aus ungleichen Figuren zusammensetzt. Die, die für ihn werben, und in ihm ihre Macht sichern und sich bereichern, sind selten die, die in ihm sterben. Und doch sind die, die für ihn werben, für gewöhnlich die, an die nach einem Krieg erinnert wird. Wer kennt den Namen auch nur eines einzigen gefallenen Soldaten aus dem Hundertjährigen Krieg? Aus dem Ersten Weltkrieg? Über wen werden Bücher verfasst, Filme gedreht? Die Toten sind bedeutungslos für die, die diese Toten zu verantworten haben; sie sind auch denen unbekannt, die den Krieg im Kopfe haben und sich von ihm mitreißen lassen - denn der Krieg ist mehr:
Der Krieg ist ein Geschenk. Er ist ein Geschenk für die, die für ihn werben, und er ist ein vielseitig anwendbares Geschenk. Die, die ihn in bestimmender Weise führen, nutzen ihn, um ihren eigenen Anspruch nach Macht und Einfluss weiterhin geltend zu machen, während sie zeitgleich versuchen, für sich und ihre Verbündeten, die profitabelsten Geschäfte möglich zu machen. Krieg lässt sich ohne staatliche Finanzierungsgeschenke und Aussichten auf neue private Gewinne nicht überzeugend führen. Krieg und Kapital, sie sind ein Geschwisterpaar. Die staatliche Unterstützung einer Kriegswirtschaft und die Anpassung einzelner Wirtschaftsbereiche an die Anforderungen gegenwärtiger und zukünftiger Schlachtfelder ist auf Jahre und Jahrzehnte ausgerichtet. Wer kriegstüchtig sein möchte, plant für den Krieg - und niemals für den Frieden.
Wer für den Krieg wirbt, wirbt für seine eigenen Interessen, um Einflusszonen, um Grenzziehungen. Er sucht sich Verbündete um diesen oder jenen Teil der Welt neu aufzuteilen und so aus ihr noch mehr für sich selbst herauszuziehen. Der Krieg wird als Mittel der Aushandlung gegensätzlicher Interessen eingesetzt. Er ist ein Mittel der Schwachen, da diese glauben, mit reiner Stärke sei Welt zu machen. Letzlich bleiben auch sie nur jämmliche Sterbliche und schon jetzt tanzen wir, die wir diese Zeilen schreiben, auf ihren Gräbern. Bis zu ihrem Ableben greifen sie auf den Krieg zurück, weil sie von dem Irrglauben beseelt sind, sie verkörpern das Maß aller Dinge. Sie nennen die Welt, doch in Wirklichkeit nehmen sie sie uns:
Ihr Krieg verunmöglicht eine Zukunft. Er zerstört unsere Welt. Wenn das letzte Schlachtfeld sich zur Ruhe legt, wird es dort auf lange Zeit keine blühenden Landschaften geben können. Der Krieg ist die größtmögliche Katastrophe für die Umwelt, unsere Welt. Die verseuchte Erde wird dann unseren verseuchten Gedanken der Hoffnungslosigkeit in uns gleichen. Kein Versprechen nach einer Zukunft für alle in Freiheit, Würde und Glück wird mehr verfangen. Zwar geben uns die, die für den Krieg werben, die nationale Zugehörigkeit, in der wir alle gleich seien, aber es sind nicht sie, die auf jenen verwüsteten Feldern zur unruhigen Ruhe gelegt werden. Auch im Krieg gibt es manche, die gleicher sind als der Rest - und doch bleiben sie die Schwachen und werden untergehen:
Der Krieg bedeutet Krise. Die Fortführung des Krieges ist ein Zeichen der politischen Unfähigkeit und des Unwillens derjenigen, die ihn führen. Sie sind unfähig und unwillens, tatsächliche Lösungen für internationale Interessenskonflikte im Sinne derjenigen auszuarbeiten, die der Krieg einfängt. Und der Krieg fängt mehr ein, als für gewöhnlich angenommen wird. Das Herrschaftsdreieck Staat, Krieg und Kapital bewirkt, dass der Krieg über das Schlachtfeld hinaus gesellschaftliche und internationale Bedeutung erfährt. Dass der Krieg auch im Inneren anderer Länder, die kein Schlachtfeld vorzuweisen haben, gestalterisch wirkt und in seinem Namen weitreichende politische Entscheidungen gefällt werden, ist einer bestimmten Ausrichtung von Herrschaftsinteressen und ihrer Politik zuzuschreiben. Das ist das Kriegsregime.
Wogegen wir dagegen halten: Kriegsregime
Das Kriegsregime, dem wir uns gegenübersehen, koppelt die Realität einer Gesellschaft ohne Schlachtfeld mit dem Zustand einer Gesellschaft mit Schlachtfeld. Als Ort kennt das Kriegsregime nicht nur die Front, sondern all jene Plätze, Räume und zwischenmenschliche Beziehungen, die von den Merkmalen des Krieges heimgesucht werden - auch hunderte, gar tausende Kilometer entfernt von der Front. Plötzlich ist der Krieg ganz nah und hat alle Grenzen durchbrochen. Das Kriegsregime, es verbindet das entfernt liegende Schlachtfeld mit unseren Köpfen und Handlungen im Hier und Jetzt.
Erst das Kriegsregime schafft die Legitimationsgrundlage für ein neues gemeinsames Agieren zwischen Staat ohne eigenem Schlachtfeld und Kapital ohne Verwertungsaussichten. Das Kriegsregime ist ein großer Ermöglicher, dank dem Regierungen unterschiedlicher politischer Couleur, ob liberal oder konservativ, ob proto-faschistisch oder progressiv, im Inneren eines Landes weitreichende Veränderungen durchsetzen können. Es zielt auf unsere Disziplinierung ab, wir müssen alle auf Linie gebracht werden - und wer ausschert, den bestraft die Staatsräson. Vorangetrieben wird dieser Mix aus verinnerlichter und freiwilliger Unterwerfung mit einer Umgestaltung nationaler Industriezweige und einer Umformulierung staatlicher Aufgaben.
Mit einer unbegrenzten Aufrüstung, dem Ausbau der Rüstungsindustrie und der Normalisierung von Uniformen und Schussfeuerwaffen in der Öffentlichkeit, erhalten private und staatliche militärische Kräfte eine zentrale Position in der Gestaltung unserer Gesellschaften. In dieser Umgestaltung und Umformulierung geschehen beispiellose Investitionen in die Kriegswirtschaft auf Kosten des Sozialstaates. Es zeigt sich die umfassende Wirkung des Kriegsregimes, indem es zur Entwertung und Unterordnung aller anderen Politikfelder beiträgt, die nicht im unmittelbaren Interesse dieser kriegerischen Verwertungsmaschinerie stehen. Sozialpolitik, Klimaschutz und Kulturförderung sind - erneut - nur Nebenschauplätze einer Politik, aus denen am ehesten Ressourcen im Sinne des Kriegsregimes abgeschöpft und Sparmaßnahmen durchgesetzt werden können - allen propagandistischen Lügen bestimmter Akteure zum Trotz. Hieß es früher einst hoffnungsvoll Waffen zu Pflugscharen!, so lauten die tödlich-verführerischen Slogans der Gegenwart Neue Held:innen braucht das Land! und Pflugscharen zu Waffen!
Das Kriegsregime ist nicht die Entscheidungsgewalt in letzter Instanz, doch es ist die Entscheidungsgewalt, die in alle politischen, sozialen, ökonomischen, kulturellen Bereiche eingreift, diese durchdringt und mitbestimmt. Das Kriegsregime ist niemals liberal, trotz neuer Gesichter und ihrer Pluralität. Das Kriegsregime muss notwendigerweise autoritär sein, damit es funktioniert - und autoritär bedeutet stets auch herrisch-maskulin in seiner Beziehung zu uns und in den Beziehungen unter uns selbst. Es ist genau dieses Merkmal des Autoritären, des Autoritarismus, was das Kriegsregime verbinden lässt mit weiteren Herrschafts- und Kapitalinteressen. Die soziale Sicherheit des Sozialstaates wird ersetzt durch die polizeilich-militärische Sicherheit vor Feinden im Äußeren sowie Inneren.
Das Kriegsregime unterteilt, spaltet, hierarchisiert. Plötzlich steht der Feind nicht mehr nur außerhalb, sondern auch innerhalb und inmitten von uns. Wie bereits erwähnt, auch über uns fällt das Freund-Feind-Denken her. Die Staatsräson macht auch vor uns als gesellschaftliche und Szene-Linke nicht Halt. Auf gesellschaftlicher Ebene werden die Feindes-Namen im Inneren von Zeit zu Zeit ausgetauscht. Manche Bevölkerungsgruppen sind dazu verdammt, immer wieder als Sündenböcke herzuhalten. Und doch sind diese Namen stets Namen von gesellschaftlichen Minderheiten ohne Einflussmöglichkeiten auf die Geschicke eines Landes. Fremdkörper seien diese, die Verursacher gesellschaftlicher Probleme seien sie, die Quelle von Not und Ungerechtigkeit im eigenen Lande; wir sehen, dass die migrationsfeindliche Kotzerei aus dem vergangenen Jahrzehnt den giftigen Boden bereitet hat für genau dieses eingebildete Denken in falsche Freund-Feind-Gegenüberstellungen. Der Krieg, er hat uns auch im Kopf erwischt. Wir sehen, dass ihre kotzende Kriegstüchtigkeit den Weg der Autoritären und Faschisten ebnen wird.
Nicht, dass es keine Angriffe aus der Gesellschaft gegen die Gesellschaft gäbe. Nicht, dass die Kriege anderswo nicht auch uns beträfen und uns eine Mahnung sein sollten. Angriffe und Kriege - und nicht selten allein die schiere Anwesenheit bestimmter Bevölkerungsgruppen - werden überhöht und übertrieben als existentielle Gefahr für unser individuelles und gemeinsames Leben dargestellt. Diese Darstellung ist mehr politisches Instrument des Kriegsregimes, und geschickt-trügerisch verarbeitet von denen, die diese Krieg führen, statt Ausdruck der realen gesellschaftlichen wie internationalen Zustände. Der Feind, er sei schon hier, sagen die, die den Krieg führen und für ihn werben.
Sicherheit über alles, ertönt es von ihnen sodann, und im gleichen Atemzug feilen sie munter am Niedergang der Welt, wie wir sie kannten aber nie wollten, oder sie uns einst erhofft hatten. Sie sind der Feind jeglicher gemeinsamen politischen Aushandlung darüber, wie wir leben wollen. Sie kennen keine Gemeinsamkeiten zwischen den Menschen mehr. Sie sehen nur noch unüberbrückbare Unterschiede, sie sehen Zivilisierte und Barbaren, nur noch Sicherheitsrisiken, die es gilt einzudämmen, zu kontrollieren, zu entfernen. Sie glauben, sie seien im Recht und sind doch nur rechts, da sie das universalistische Versprechen nach Freiheit, Gleichheit und Solidarität für alle zu zerstören versuchen - und das gerade im Namen der Freiheit, der Gleichheit und der Solidarität. Ein Spiegeltrick, den nur der Krieg und seine Tüchtigen möglich machen. Sie sind unser Gegenüber, da sie uns zu trennen versuchen. Sie wollen uns nach ihren falschen Linien trennen und hinter sich vereinen. Sie wollen unsere Familien und Nachbar:innen, unsere Freund:innen und Genoss:innen, sie wollen uns von der Welt und ihren Menschen trennen. Wir erahnen so schon reichlich wenig vom Leben außerhalb der Grenzen um uns. Nun soll uns auch das Ende dieses Lebens, wenn es nach ihnen ginge, nicht tangieren. Sie wollen auch die von uns trennen, die vor Kurzem oder Langem hierher kamen und nun auch von hier sind. Sie wollen auch die von uns trennen, die in ihrer Staatsräson keinen Platz haben, die anders denken, fühlen, leben, lieben als die Staatsräson uns vorschreiben möchte. Sie sind unser Gegenüber - und es reicht. Wir ziehen unsere Linie. Wir entkommen.
Wofür wir leben: Entkommen!
Noch einmal kurz auf Start. Nicht alles, was wir in diesen Zeilen skizzieren, ist bereits vollumfänglich sicht- oder spürbar. Das Kriegsregime mag nicht oder noch nicht überall vorherrschen - und vielleicht wird es das auch nie in dieser absoluten Art und Weise. Doch das Kriegsregime ist eine der vielen Masken, mit der sich Staat und Kapital kleiden, um nicht unterzugehen. Um ihren Untergang zu umgehen, führen sie Krieg. Der Krieg, ihr Krieg, ist die tödliche Konsequenz einer globalen Ordnung, die sich neu zusammensetzt. Diese Neu-Zusammensetzung trägt kein Glücksversprechen für alle in sich. Es besteht sogar die Möglichkeit, dass diese gewaltvoller ausfallen wird, als die bisherige Ordnung es gewesen ist. Und dennoch, Möglichkeiten bedeuten Risse im Bestehenden, die in die eine oder in die andere Richtung vergrößert werden können. Es sind Risse, die von uns vergrößert werden können. Von uns. Ein vereinzelter Einspruch wird zu einem gemeinsamen Widerspruch. Ein gemeinsamer Widerspruch wird zu einer kollektiven Kraft, die die Möglichkeit für sich entscheiden kann. Diese kollektive Kraft sind wir. Wir ziehen eine Linie. Wir wollen widersprechen, verweigern, entkommen. Wir hoffen, versuchen, streiten, dass viele mehr mit uns entkommen werden. Werden wir tüchtig gegen Krieg oder kriegstüchtig?
Das Entkommen gleicht mehreren Schritten, es ist sowohl Prozess als auch Handlung, sowohl individuell als auch kollektiv. Wer entkommt, trifft eine persönliche Entscheidung. Es ist die Entscheidung nicht mitzumachen, sich Staat und Kapital nicht zu unterwerfen, sich dem Kriegsregime nicht auszuliefern, sich nicht einzureihen. Es ist die mutige Entscheidung aus der Masse auszuscheren, die sich dem Kriegsregime in bequemer Weise hingegeben hat. Doch den Krieg zu wollen, ist nicht mutig. Mutig ist, den Krieg zu sabotieren - an den Schulen, den Universitäten, in den Betrieben, in der Öffentlichkeit. Mutig ist, sich nicht einreihen zu lassen, sondern eigenständig zu denken und zu entscheiden. Mutig ist, Nein! zu schreien, wenn um dich herum für den Krieg geworben wird, dir falsche, nämlich autoritäre Vorbilder vorgesetzt werden. Mutig, ist das Leben zu wollen und das Sterben zu verhindern. Das Kriegsregime stellt die Verteilungsfrage - für welche gesellschaftlichen Grundbedürfnisse ausreichend Ressourcen zur Verfügung stehen und für welche nicht - doch unser Entkommen umfasst nicht das taktiererische Ausspielen des Lebens Unzähliger auf nah entfernten Schlachtfeldern zugunsten einem größeren Klimaetat, von dem wir hier doch nicht profitieren. Das Entkommen kennt mehr als das Ich, will mehr als nur das Nationale, sehnt sich nach mehr als nur dem Eigenen. Es ist nicht einfach, den Krieg aus dem Kopf zu kriegen - aber es ist nicht unmöglich. In dem Moment, in dem das Ich diese Entscheidung trifft, wird es zu einem Wir. Wir finden uns, verbinden uns, organisieren uns, fortan bestimmen wir uns, bestimmen gemeinsam, was nun folgen muss. Gemeinsam verraten wir das Kriegsregime, greifen es an, sabotieren es. Unser Entkommen ist keine Flucht, es ist die Bewegung nach vorne. Es ist das Versprechen, das wir uns geben, damit die Ausrichtung auf die Unterwerfung, den Profit und das Sterben abgelöst wird von einer Gesellschaft für die es sich lohnt zu kämpfen, zu leben und zu lieben!
Weitere Inhalte
Das Kriegsregime und die Narben der Kriegsgesellschaft
- Europe at War: European Elections and the Task of Social Movements
- Für ein Ende der Gewalt
- Globales Kriegsregime: Das Desertieren neu denken
Das Kriegsregime als Angriff auf unsere Kämpfe
- Warum uns die Militarisierung alle etwas angeht
- Kein Krieg ist feministisch – Der patriarchalen Kriegslogik entgegentreten
- Keine Kohle für Panzer: Warum »Rheinmetall Entwaffnen« auch »RWE Enteignen« bedeutet
Aufbruch gegen das Kriegsregime – das Kriegsregime aufbrechen
- Der Krieg, die Linke und wir
- Solidarität mit allen vergangenen und zukünftigen Deserteur:innen!
- Die Nahostblockade – Oder: Warum fällt es der deutschen Linken so schwer eine Antikriegsbewegung aufzubauen?
Empfehlungen und Links aus dem Anhang
Krisen AG Berlin: »Nochmal Anlauf nehmen. Wieso wir eine neue Friedens- und Antikriegsbewegung brauchen und wie wir uns das ungefähr vorstellen«
https://blog.interventionistische-linke.org/antikriegsbewegung/nochmal-anlauf-nehmen
Einzelpersonen aus Rheinmetall Entwaffnen: »Männlichkeit, Patriarchat & Krieg«
https://blog.interventionistische-linke.org/antikriegsbewegung/maennlichkeit-patriarchat-krieg
Eine Stimme aus der IL: »Überlegungen für eine neue Antikriegsbewegung«
https://blog.interventionistische-linke.org/antikriegsbewegung/ueberlegungen-fuer-eine-neue-antikriegsbewegung
AG Krieg und Frieden der IL Berlin: »Beyond Waffenexportstopp. Um was es uns geht«
https://blog.interventionistische-linke.org/antikriegsbewegung/beyond-waffenexportstopp
Sandro Mezzadra und Michael Hardt: »Die künftige post-hegemoniale Welt«
https://www.medico.de/blog/die-kuenftige-post-hegemoniale-welt-20051
Vanessa E. Thompson und Raul Zelik: »Globale Linke: Ein Antiimperialismus ohne Idioten«
https://www.woz.ch/2513/globale-linke/ein-antiimperialismus-ohne-idioten/!P7EX1ES9WABR
Weitere Texte zu Krieg und Frieden auf dem Debattenblog der IL
https://blog.interventionistische-linke.org/tag:Krieg%20und%20Frieden
Weitere Texte aus der Permament Assembly Against the War, Teil des Transnational Social Strike.
www.transnational-strike.info/articles/permanent-assembly-against-the-war/